Wer die sardische Mentalität in einem Satz zusammenfassen möchte, der landet schnell bei „Furat chie venit dae su mare.“ Übersetzt bedeutet dies Wer über das Meer kommt, will uns bestehlen – und es fast gut zusammen, was die kulturelle und gesellschaftliche Prägung der Sarden in den vergangenen Jahrhunderten ausgemacht hat.

Das Verhältnis der Sarden zu ihrer herrlichen Küste und dem sie umgebenden Meer ist nach wie vor gespalten. Denn das Wasser bedeutete immer auch ein Stück weit Gefahr. In der jüngeren Vergangenheit waren es nicht mehr die Römer oder die Byzantiner, die danach trachteten, die strategisch günstig gelegene Insel zu erobern. Aber Piraten, zügellos die Küstenregionen plündernd, kamen bis weit in die Neuzeit hinein regelmäßig aus dem arabischen Raum herbeigesegelt. Dagegen halfen auch die Sarazenentürme, die bereits durch die Nuraghe in der Bronzezeit zur Abwehr erbaut wurden, nur bedingt – sie waren eher eine Art Frühwarnsystem. Um das Jahr 1000 herum war die gesamte Küstenregion entvölkert – die Sarden suchten Schutz vor den Angriffen, indem sie sich in das Landesinnere, in die wilden Bergregionen, zurückzogen. Neben tätlichen Angriffen drohte an der Küste eine weitere Gefahr: Die Malaria grassierte hier in besonderem Maße.
Ein Auskommen zu erzielen, die Familie zu ernähren, war hier vergleichsweise schwierig – zu karg und felsig das Land, zu trocken das Klima. Eine ausgeprägte Hirtenkultur entstand, dessen Säulen der Familienverband und die Dorfgemeinschaft waren.
Bis heute stehen die Hirten im Inland dem Meer und der Küste skeptisch gegenüber. Das echte Sardinien werden Sie daher im Hinterland erleben.
Sardinien – das Land der Hirten
Sardinien ist felsig und entsprechend karg. Zu 75% besteht die Oberfläche aus Granit- und Schiefergestein. Die Bevölkerung, die in früheren Zeiten noch mehr als heute auf die Landwirtschaft angewiesen war, hatte Mühe, dem Boden ausreichend Ernte abzuringen. Anspruchslose Nutztiere waren die Lösung – Sardinien wurde zur Insel der Hirten. Das schlägt sich in der Küche der Sarden nieder, die vornehmlich einfache Gerichte mit Brot, Pasta und Fisch kennt.
Bis heute ist die Landwirtschaft der bedeutsamste Wirtschaftsfaktor, der mehr Arbeitsplätze stellt als der Tourismus. Heute weiden 3,5 Millionen Schafe auf Sardinien, dazu kommen 2 Millionen Kühe und hunderttausende Ziegen. Die Tiere werden zumeist auf wilden Weiden ohne Zäune gehalten, auf denen allerdings auf Grund der Kargheit massiv zugefüttert werden muss. Die Hirten erkennen ihre Tiere am Geräusch der Glocken – jede Herde hat ihre eigene Tonhöhe. Die Herstellung dieser Glocken ist noch immer eine hohe Handwerkskunst. Eine weitere Besonderheit: Das Weideland ist kein Privateigentum sondern gehört der Gemeinschaft in Form der jeweiligen Gemeinde. Jeder Hirte führt je Tier eine gewisse Abgabe an die Gemeinde ab und erwirbt somit das Nutzungsrecht. Eine starke Gemeinschaft ist die Folge, da das Land und seine Fläche in hohem Maße gemeinschaftlich verwaltet werden.
Man kann sich ausmalen, wie karg die Erträge der Viehzucht waren, als mangels Futter nicht zugefüttert werden konnte. Spricht man mit den Alten, so erinnern sich diese an harte Zeiten. Ein gängiges Gericht im Hinterland war ein Brei aus Eicheln und Erde (!), die gemeinsam gekocht, vermengt und als eine Art Kuchen serviert wurde. Wer an der Geschichte der Hirten interessiert ist, der werfe einen Blick auf die Historie der Ortschaft Orgosolo, die bis heute symbolisch für die Kultur der Hirten steht.
Sardinien – Selbstverwaltung als Überlebensprinzip
Wechselnde Besatzer behandelten die Insel Sardinien mit ihrer vergleichsweise riesigen Fläche nicht immer sorgsam. Die Metropolen und ihre Häfen wurden stark befestigt und Cagliari gar zur herrschaftlichen Residenzstadt mit ausladenden Palastanlagen ausgebaut. Aber Schutz für die Bewohner der abgelegenen Regionen wurde selten gewährt. Während der Herrschaft von Byzanz, das auf Grund innenpolitischer Probleme die Insel letztlich sich selbst überließ, entstanden daher autonome politische Strukturen, um die Verwaltung und Gemeinschaft, aber auch die Gerichtsbarkeit aufrecht zu erhalten.
Kern dieser Strukturen waren die Gerichte und ihre Richter, die über ihre jeweiligen Provinzen herrschten. Es bildeten sich 4 Regionen heraus, die demnach Judikate genannt wurden und weitestgehend durch die zuständigen Richter und ihren Hofstaat autonom verwaltet wurden.
Mit der Rückeroberung der Insel durch Pisa und Genua, die im Auftrag des Papstes die im 11. Jahrhundert eingefallenen arabischen Besatzer vertrieben, gelangten die Judikate unter wechselnde Einflüsse verschiedener Mächte – die Judikate und ihre Machtstrukturen hielten sich allerdings bís in das 14. Jahrhundert hinein.
Die Selbstverwaltung brachte ein gewisses Maß an Gerechtigkeit mit sich – außerdem konnten die Gegebenheiten an das Leben der Bewohner angepasst werden. Bis heute werden gewisse Errungenschaften bewahrt. Dazu zählt auch die kommunale Verwaltung der Ländereien und ihrer Weideflächen, die weitestgehend ohne Privatbesitz auskommt. Das Weideland ist Eigentum der Gemeinden – jeder Hirte zahlt je Tier eine gewisse Abgabe an selbige.
Die Mentalität der Sarden spiegelt sich auch in Zutaten der sardischen Küche und ihren Rezepten wieder. Aus einfachen Ingredienzien – Brot, Gemüse, Käse und Pasta – werden hier schmackhafte und nahrhafte Gerichte hergestellt.